Geschichte International

Das Testimonium – Mahnung und Einladung

Immer wieder ist vom „Testimonium“ der englischen Apostel die Rede. Der katholisch-apostolische Theologe Ernst Adolf Roßteuscher sah darin 1871 „das wichtigste Stück, das die eigentlich kirchliche Literatur seit dem Abschluß des Neuen Testaments aufzuweisen hat.“ Doch Apostel Woodhouse hatte darin 1847 nur ein zeitbedingtes Dokument gesehen, das „dem Stand der Dinge“ von 1836 und „dem Maaße der Erleuchtung, das Gott damals seinen Dienern gab“, entsprach.

Botschaft an alle christlichen Obrigkeiten

Das „Testimonium“ erschien 1837 ohne Titel und begann mit einer Anrede: „Den Patriarchen, Erzbischöfen, Bischöfen und anderen Vorstehern in der Kirche Christi in allen Landen, den Kaisern, Königen, Fürsten und andern Regenten der Nationen der Getauften“. Entstanden war es, weil die Propheten „ein Zeugnis gegen Babylon“ forderten. „Babylon“, so nannten die Verfasser jene Unordnung in geistlichen Dingen, in der sie nicht nur die Kirche sahen, sondern auch das Staatsleben, das nun nicht mehr nach christlichen Grundsätzen geregelt sei.

Anerkennung aller kirchlichen Ämter?

Schon vor Abfassung des Testimoniums hatten die Apostel eine Zeugnisschrift an die Anglikanische Kirche verfasst. In ihr war bereits vieles enthalten, das in die spätere „große“ Zeugnisschrift aufgenommen wurde. Die Zeugnisschrift an die anglikanische Geistlichkeit wurde zu Weihnachten 1835 offiziell verabschiedet, und seit Januar 1836 klopften die Evangelisten an die Türen der Pfarrhäuser in London und anderen Orten Englands. Sie wollten die Geistlichen darauf einstimmen, dass sie mitsamt den ihnen Anvertrauten den Aposteln folgen sollten. Viele Pfarrer blieben gleichgültig: Einer aber, George Bellet, reagierte empört: Noch kurz vorher hätten dieselben Leute, die jetzt bei ihm anklopften, verbreitet, dass er und seinesgleichen gar keine richtigen Geistlichen seien, weil nicht Bischöfe, sondern nur Apostel Ämter einsetzen könnten. Und plötzlich höre er von ihnen, dass Gott an ihm und seinem Amt nicht vorbeigehen wolle.

Bellet ließ Zweifel an der Aufrichtigkeit des ihm gemachten Angebots durchblicken. Zu widersprüchlich erschien ihm die Botschaft an die Geistlichkeit. Doch liest man das Testimonium genauer, löst sich der Widerspruch auf: Als es keine Apostel mehr gab, so wird dort erläutert, hätten die Christen nach Ersatz für sie gesucht. Dabei seien sie darauf verfallen, dass Bischöfe Ämter einsetzen könnten. Das war zwar nicht das, was Gott gewollt habe, aber er habe es zugelassen – und auch durch solche Männer gewirkt, allerdings in eingeschränkter Weise.

Jetzt gebe es wieder Apostel, aber sie seien noch nicht ausgesandt, sie könnten sich deshalb noch nicht durch ein Wirken in großer Kraft ausweisen. Bald aber würden sie ausgesandt, und dann müsse sich jeder Geistliche entscheiden, ob er den Aposteln folgen und dadurch seine Herde vor den endzeitlichen Gerichten bewahren wolle.

Unreinheit der Kirche – Heilung oder Abriss

Tatsächlich rechneten die Apostel nicht damit, dass ihre Botschaft an die Christenheit die Gerichte über „Babylon“ abwenden würden. Die Christenheit war nicht die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ des Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel, sie bestand vielmehr aus einer Vielzahl von „Sekten“. Auf das aus solchen „Sekten“ bestehende Kirchengebäude waren nach Meinung der Apostel die Vorschriften anzuwenden, die sie im 3. Buch Mose (Kapitel 14) über den Aussatz an einem Haus fanden. Man musste zunächst versuchen, den Aussatz zu beseitigen und das Gebäude zu erhalten. Deshalb das Testimonium. Gelang die Heilung nicht, war das Gebäude abzubrechen, die Materialien an einen „unreinen Ort“ zu bringen.

Apostel Cardale kommentierte diese Bestimmung mit den Worten: „Wir wollten Babel heilen, aber es wollte nicht geheilt werden.“ (Jeremia 51, 9). Apostel Woodhouse legte in seiner Kommentierung Wert auf Jeremias Folgerung: „So lasst es fahren und lasst uns ein jeder in sein Land ziehen!“ Schon im Albury-Kreis hatte man diese Schriftstelle mit der Aufforderung in der Offenbarung in Verbindung gebracht: „Geht hinaus aus ihr, mein Volk, dass ihr nicht teilhabt an ihren Sünden und nichts empfangt von ihren Plagen!“ (Offenbarung 18, 4) – Die Apostel verfassten das Testimonium, gerade weil sie zum Auszug aus dem kirchlichen „Babylon“ auffordern wollten. Zu dem Schluss, dass das kirchliche „Babylon“ nicht geheilt werden wolle, waren sie schon gekommen, ehe sie das Testimonium verfassten. Es galt nur noch den Beweis zu führen, dass „dies Werk [unter Aposteln] bis jetzt keine Untergrabung der bestehenden Ordnungen gewesen ist“, wie es Apostel Woodhouse im Rückblick formulierte.

Keine neue Sekte, sondern Werk Gottes

Das Werk unter Aposteln, so verkündeten sie, „ist keine neue Secte; es ist Gottes eigenes Werk um Sein Heil der ganzen Christenheit mitzutheilen.“ (Abschnitt 113) Sie stellten die apostolischen Gemeinden, deren Amtsträger nach ihrer Überzeugung von Gott gegeben waren, anderen Gemeinschaften gegenüber, in denen sie „Synagogen des Antichrists mit Häuptern, die sich das Volk selbst gewählt hat“ sahen (Abschnitt 113)

So entstand ein gewisser Widerspruch zu der Definition von Kirche, die man am Beginn des Testimoniums liest: „Die Kirche Christi ist die Gemeinschaft Aller, welche getauft sind im Namen des Vaters, des Sohnes, und des Heiligen Geistes, ohne Unterschied des Zeitalters oder des Landes, und durch ihre Taufe von allen anderen Menschen gesondert.“

Dieser Widerspruch lässt sich auflösen, wenn man hierin ein Idealbild von Kirche erkennt, an dem die geschichtliche Wirklichkeit gemessen wird, in der es statt des einen Leibes die bereits genannten „Sekten“ gibt. Unter Aposteln ist die wieder sichtbar gewordene wahre Kirche zu finden. Man erwartete, dass nicht alle Getauften den Aposteln folgen würden, aber dass ungefähr ein Zehntel der Christen einen „treuen Überrest“ bilden und sich in das von Aposteln geleitete Werk der Errettung vor den endzeitlichen Gerichten begeben würde. Nicht so sehr durch Wunder, sondern in erster Linie durch das Wort Gottes würden diese Menschen gesammelt: „Durch die Worte der Wahrheit und des Lebens sondert Er die übergebliebenen Heiligen von der Masse der Bekenner in der Christenheit.“ (Abschnitt 116)

Die Taufe begründet Verantwortung

Die Apostel sahen sich nicht als Gründer einer neuen Kirche, sondern als Wiederhersteller der einmal am ersten Pfingstfest gegründeten Kirche. In dieses Werk der Wiederherstellung wurden die Mitglieder aller anderen Kirchen hineingerufen. Sie begründeten dies so:

„Hätte Er [Gott] den Heiligen Geist über irgend eine besondere Secte ausgegossen, so wäre dies so viel gewesen als diese Eine Secte zu rechtfertigen, da doch alle gefehlt hatten. Hätte Er den Heiligen Geist über alle ausgegossen, so wäre dies so viel gewesen, als jede in ihrer Trennung und Selbstzufriedenheit bestätigen. Aber Gottes Vorsatz war, Apostel und Propheten aufzustellen, aufs Neue die alten Grundsteine zu legen, darauf Seinen geistlichen Tempel wieder zu erbauen, von da aus Seine Boten auszusenden, dahin alle Seine Kinder einzuladen und sie daselbst zu segnen.“ (Abschnitt 118)

War man getauft, durfte man gegenüber der Sendung der Apostel nicht neutral bleiben: „Wenn der Herr aufs Neue Apostel und Propheten an Seine Kirche sendet, und die Getauften sie verwerfen und verfolgen, so erklären sie sich hiemit für Abgefallene. Und so soll das Licht die Finsternis offenbaren.“ (Abschnitt 120)

Das Testimonium – Grundsatzerklärung oder Zeitdokument?

Warum aber wurde ein Dokument, das 1847 als zeitbedingt und Ausdruck eines früheren Erkenntnisstandes der Verfasser galt, wenige Jahre später als Grundsatzerklärung der Apostel behandelt?

Die Antwort ergibt sich aus der weiteren Geschichte des katholisch-apostolischen Werkes: Da die zwölffache Aposteleinheit 1841 zerfiel und in den Folgejahren nicht wiederhergestellt wurde, war das Testimonium das einzige öffentlich zugängliche Dokument, das alle zwölf Apostel gemeinsam herausgegeben hatten. Bei künftigen Meinungsunterschieden wurde es von den streitenden Parteien unterschiedlich gedeutet.

Anmerkung:Die Zitate aus dem Testimonium werden im Wortlaut und in der vom heutigen Gebrauch abweichenden Rechtschreibung der „amtlichen“ deutschen Übersetzung wiedergegeben. Diese Übersetzung wie auch den englischen Text und eine spätere deutsche Übersetzung durch Roßteuscher sowie weitere Informationen findet man im Internet unter www.nak.org/de/news/publikationen/article/14439

Von: Manfred Henke

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