Geschichte International

Apostelversammlung 1851: Enttäuschte Erwartungen

1846 hatten zehn Apostel einen Kompromiss gefunden, der es ihnen möglich machte, das 1835 begonnene Werk fortzuführen. Die großen Erwartungen der Anfangsjahre konnten sie allerdings nicht erfüllen. Apostel Carlyle glaubte die Ursache zu kennen: Die „heilige Zwölfzahl“ war nicht mehr vorhanden, die erwartete Aussendung der Apostel in der vollen Kraft ihres Amtes konnte nicht stattfinden. Das sollte sich zu Pfingsten 1851 ändern – aber wollten dies auch seine Mitapostel?

Apostelversammlung einberufen

1846 war vereinbart worden, dass Cardale die Apostel erneut zusammenrufen werde, wenn er es für richtig hielt oder zwei andere Apostel es verlangten. Im Februar 1851 lag ein solcher Antrag zweier Apostel vor. Wie vereinbart, rief Cardale eine Versammlung ein, wollte für die Folgen jedoch keine Verantwortung übernehmen, da er angesichts der noch immer bestehenden Auffassungsunterschiede unter den Aposteln „alle möglichen Übel“ befürchtete. Sollten die Übel ausbleiben und wider Erwarten Gutes beschlossen werden, so Cardale gegenüber Drummond, müsse man den „zwei Brüdern, die die Verantwortung dafür übernommen haben, dass wir zusammengerufen werden“, dankbar sein.

Uns liegen keine Quellen vor, aus denen die Namen der Antragsteller hervorgehen. Apostel Carlyle war vermutlich einer von ihnen. Denn wie kein anderer forderte er die ihm Anvertrauten dazu auf, für das Gelingen des großen Vorhabens zu bitten. Er erwartete Großes: Die Zahl der Apostel sollte wieder auf zwölf ergänzt werden, die anderen Apostel sollten „in volle Thätigkeit kommen“ und „in allen Stücken einig werden“. Damit sollte die Voraussetzung für die noch ausstehende Aussendung der Apostel erfüllt werden. War diese erfolgt, würden „die Apostel eine Kraft und Vollmacht bekommen, wie jetzt noch nicht“.

Hohe Erwartungen geweckt

Diesen Appell an die Gläubigen trug der Apostel für Norddeutschland am 4. April 1851 in einer kleinen Gemeinde seines Arbeitsbereiches vor. Er wurde umgehend gedruckt und „den Vorstehern der Gemeinden zur Verbreitung in den Gemeinden, aber nur in den Gemeinden, übergeben“, damit alle Gläubigen „gerade jetzt, da ein folgenreicher Zeitpunkt in der Geschichte des Werkes eingetreten ist“, ermuntert würden, die Apostel „mit um so ernstlicherem Gebet“ zu unterstützen.

Apostel Carlyle hob die Bedeutung des Augenblicks durch eine (typologische) Auslegung der Geschichte des Königs David vor. David, so entnahm er der Heiligen Schrift, wurde dreimal zum König gesalbt: Zunächst im Verborgenen durch den Propheten Samuel (vgl. 1 Sam 16,13), dann nach Sauls Tod von den Männern des Stammes Juda (vgl. 2 Sam 2,4), und schließlich von ganz Israel (vgl. 2 Sam 5,3). Die erste Salbung setzte Carlyle mit der prophetischen Rufung der Apostel gleich, die zweite mit der Aussonderung am 14. Juli 1835, die dritte mit der noch erwarteten Aussendung. Seit ihrer Aussonderung übten die Apostel demnach ihr Amt an allen aus, „bei denen sie Aufnahme finden“. Nach ihrer Aussendung würden sie von den Gläubigen, „deren Herzen der Vollkommenheit nachtrachten ... zur Übernahme der ihnen gebührenden Stellung an der Spitze der allgemeinen Kirche“ aufgefordert werden. Anschließend würden alle, „welche nicht vollkommen sein wollen, in die schreckliche Stunde der Versuchung gerathen“. Wer die Apostel annehme, würde aber davor bewahrt und „zu dem Throne Gottes entrückt werden“.

Intensive Beratungen

Zum Pfingstfest am 2. Juni kamen die zehn noch tätigen Apostel in ihrem bisher kaum von ihnen genutzten Ratssaal in Albury zusammen. Jeweils zwei Apostel wurden an die Apostel Dalton und MacKenzie gesandt, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Die Apostel trafen sich dann vom 1. bis 7. Juli und erneut am 8. August, nur um zu erfahren, dass Apostel MacKenzies Haltung unverändert war und Apostel Dalton inzwischen sogar „ernste Zweifel“ vortrug, und zwar „hinsichtlich biblischer Beweise für Gottes Absicht, wieder Apostel zu geben“ als auch „was den göttlichen Charakter des Werkes“ betraf.

Die Zehn bezeugten in einem Brief an Apostel Dalton, dass sie in den fünf Jahren seit 1846 Gottes Gegenwart und Lenkung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben erlebt hätten und im Glauben fest stünden. Wieder einmal verhinderten jedoch Meinungsunterschiede im Apostelkreis ein entschiedenes Handeln. Einige glaubten, untätige Apostel könnten abgesetzt und durch andere ersetzt werden. Andere, darunter Cardale, verlangten für einen solchen Schritt ein besonderes Eingreifen Gottes, wiesen aber den Gedanken von sich, dass hierüber Weissagungen zugelassen werden dürften.

Bestehendes stärken

Apostel Carlyle hielt an der Hoffnung auf eine „Beschleunigung des Werkes“ fest und glaubte, er werde die Aussendung der Apostel noch erleben. Dagegen richteten seine Amtskollegen sich darauf ein, dass die Apostel nur in verringerter Zahl wirken und die ursprünglichen Ziele nicht erreichen würden.

Cardale erwartete keinen größeren zahlenmäßigen Erfolg mehr, strebte aber danach, den äußeren Rahmen der Gottesdienste, die Disziplin im Amtskörper und das geistliche Leben zu verbessern. Die Neuorientierung äußerte sich auch darin, dass ihm seine Mitapostel die Betreuung der Sieben Gemeinden in London (die nach der Schließung Westminsters faktisch auf sechs reduziert waren) ohne zeitliche Begrenzung übertrugen. Cardale beförderte auch den Bau eines eindrucksvollen Kirchengebäudes für die Zentralgemeinde in unmittelbarer Nähe seines Wohnhauses. Als Anbau dieser Kirche entstand eine besonders schön geschmückte Apostelkapelle für England.

Apostel Carlyles Vorträge und Schriften erschienen nicht nur in seinem Arbeitsbereich auf Deutsch, sondern auch in englischer Übersetzung in Apostel Cardales Bereich – aber alle Hinweise auf das größere Werk der Apostel waren darin getilgt, der Abschnitt über die drei Salbungen Davids wurde im Buch über Das apostolische Amt ausgelassen. In England richtete man sich bereits im Bestehenden ein, betonte die Autorität der Apostel über die von ihnen gesammelten Gemeinden und verlegte die Aussendung und das größere Werk immer weiter in die Zukunft.

Enttäuschung in Norddeutschland

Apostel Carlyle fügte sich in die Entscheidung seiner Mitapostel, äußerte aber durch sein Handeln Kritik an ihrer Haltung. Als sie ihn 1852 zur Mitarbeit an einer neuen Ausgabe der Liturgie aufforderten, wollte er diese Arbeit jenen Aposteln überlassen, die (wie Dow, Perceval, Sitwell, und Tudor sowie – mit Einschränkungen – auch Armstrong und King Church) „keine Gemeinden zu versorgen“ hatten, also in ihren „Stämmen“ nichts oder wenig erreicht hatten.

Apostel Tudor hatte nicht einmal den Versuch gemacht, Angehörige der polnischen Nation – deren früheres Staatsgebiet jetzt unter Russland, Österreich und Preußen aufgeteilt war – zu erreichen. Mit seinem Einverständnis missionierte Carlyle unter den in Preußen lebenden Polen. Auch Apostel Dows Besuch in Norwegen hatte keine Erfolge gebracht, und so reiste Carlyle im Herbst des Jahres 1854 nach Norwegen und Schweden. Er beanspruchte dabei seine körperlichen Kräfte weit über Gebühr, kehrte im Zustand äußerster Erschöpfung nach Albury zurück und starb dort am Morgen des 28. Januar 1855.

Die Frage nach einer Ergänzung des Apostelkreises wurde damit noch dringlicher. Aber wieder lehnten es die verbliebenen Apostel ab, andere in ihren Kreis aufzunehmen. Der verwaiste norddeutsche Arbeitsbereich sollte von Apostel Woodhouse mit betreut werden. Erneut sahen sich die norddeutschen Amtsträger enttäuscht, hielten aber an der von Apostel Carlyle gelehrten Hoffnung auf Aussendung der Apostel und ihre „Übernahme der ihnen gebührenden Stellung an der Spitze der allgemeinen Kirche“ fest.

Von: Manfred Henke

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